Daß wir nicht die einzigen Menschen auf dem Planeten sind, wird uns dann wenige Tage später klar, als der Abreisetag naht, denn da kommt Terani mit seinen Töchtern und holt uns ab. Wir packen unsere Sachen zusammen, fegen Wohn- und Küchenhaus und nehmen Abschied von Babypurzeln, Falterfischen und überhaupt allem. Dann sehen wir schon das Boot kommen, und genau so, wie man sich bei der Anreise zuerst ein wenig verlassen fühlt wenn es abfährt, so empfinden wir es jetzt als ein Eindringen in unser persönliches Paradies.
Die jungen Frauen übernehmen den „Zimmerservice“, denn in der Pension warten schon zwei Gäste, die sich spontan entschlossen haben, eine Nacht auf dem Motu verbringen zu wollen. Es sind Ornithologen aus Tetiaroa. Na, die werden sicher ein bißchen enttäuscht sein.
Wir werden mitsamt unserem Koffer an Bord verfrachtet. Mehr haben wir jetzt auch nicht mehr als das, die Wasserkanister und Kartons mit Vorräten fehlen. Der Aufenthalt ist zuende.
Auf Raivavae wartet Odile auf uns, zur Begrüßung gibt es Bananecrepes mit Honig, soo lecker.
Odile leistet uns beim Essen Gesellschaft und fragt uns, wie es uns gefallen hat. Wir quellen über vor Begeisterung. Sie freut sich und vertraut uns ihre Zukunftspläne an. Gemeinsam mit ihrer Nichte Linda, die ebenfalls eine Pension auf Raivavae betreibt, hat sie ein Motu in der Nähe des Flughafens gekauft, Motu Mano. Es ist deutlich größer als Motu Rani. Vielleicht wird es in Zukunft hier eine weitere Insel zum Robinson spielen geben. Wir wären durchaus neugierig, auch dieses Motu kennenzulernen, aber es löst auch Befürchtungen aus. Auch hier bleibt die Entwicklung nicht stehen und man kann nur hoffen, daß sie behutsam vonstatten geht.
Eine weitere Nacht auf Raivavae ist nicht vorgesehen, wir fliegen heute direkt zurück nach Tahiti und Odile bringt uns früh zum Flughafen. Obwohl der Flughafen winzig ist, kommen uns die wenigen Leute, die bis jetzt hier sind, schon wie Menschenmassen vor. Und die ganzen Regeln und Vorschriften der Pandemie, alles wieder da.
Wir wollen zurück nach Motu Rani, aber das geht leider nicht. Jedenfalls nicht jetzt.
Wir verabschieden uns herzlich und sind uns sicher, daß wir uns wiedersehen. Bis zum Abflug ist noch Zeit, aber Odile legt uns den Souvenirshop ans Herz, der nur an den Flugtagen, an denen überhaupt Flugzeuge auf Raivavae landen, geöffnet ist. Wir vermuten, daß die relativ frühe Ankunft beabsichtigt war, um uns noch ausreichend Zeit zu geben, sich mit Souvenirs einzudecken. Falls das der Plan gewesen sein sollte – bei uns geht er voll auf. Wir entdecken einige wirklich schöne Stücke. Für mich einen Kühlschrankmagneten, und der Mister findet, was er die gesamte Reisezeit hindurch gesucht hat: Ein geschnitztes Auslegerkanu.
Als das Feuerwehrauto an der Landebahn positioniert wird, wissen wir, jetzt kommt die Maschine aus Tubuai und gleich geht es los.
Auf Wiedersehen Raivavae, auf wiedersehen Lagune. Kurz vor Motu Rani dreht das Flugzeug ab und es entschwindet aus unserem Blickfeld. Seufz.
Im Flugzeug ist dann richtig Australwinter. Das Gebläse ist so übel, daß der Mister die kleinen Werbeprospekte, die in den Taschen der Vordersitze stecken, in den Lüftungsschlitz steckt. Es dauert nicht lange und das halbe Flugzeug tut es ihm gleich. So ist es auszuhalten.
In der Hitze Tahitis angekommen, wünscht man sich die Kühlung direkt zurück. Es ist zufälligerweise Unabhängigkeitstag und die Straßen sind voller feierndern Menschen, selbst hier draußen in Paofai. Wir stehen im Stau, es ist heiß und drückend und wir sind müde. Unglaublich, der Kontrast. Erst heute Vormittag saßen wir noch allein auf einem Motu, und jetzt sind wir mitten in der Stadt.
Unsere Aufbewahrungskiste aus dem Tahiti pas Cher war nun inzwischen so lange hier, daß sie in der Abstellkammer ganz unten steht, begraben unter Koffer- und Taschenbergen anderer Reisender, die irgendwo in der Inselwelt unterwegs sind und ihre Sachen hier zwischengelagert haben. Es dauert ziemlich lange, bis wir sie herausgezerrt haben, und dann heißt es Koffer neu packen. Mit all den Souvenirs ist das gar nicht so einfach.
Unser letzter Abend. Der Sonnenuntergang hinter Moorea bekommt eine allerletzte Chance – und nutzt sie nicht. Es ist wieder bewölkt. Wetten, daß zwischendurch jeden Abend wolkenloser Himmel war, so wie wir in von Tahiti Iti und von Moorea selbst aus gesehen haben. Es soll nicht sein.
Zum Trost gibt es eine anständige Pizza mit Blauschimmelkäse in der Pizzeria am Boulevard der Königin Pomare und dann geht es ein letztes Mal zu Fuß durch Paofai den Berg hinauf zum Fare Suisse.
Tschüs Champignon!
Tschüs kleine Rostlaube!
Der Flug geht um Mitternacht, aber da unser Reiseveranstalter so schlau war, uns für den letzten Tag ein Tageszimmer zu buchen, dürfen wir uns bis zur Abfahrt dort aufhalten. Ich dusche ausgiebig, es ist unglaublich, wie sehr die Geruchsnerven nach dem langen Inselaufenthalt von den künstlichen Aromastoffen entwöhnt sind, das Duschgel ist mir fast schon zu intensiv. Aber endlich mal wieder richtig heiß duschen ist wirklich ein Luxus, genau eines der Dinge, die man nach so einem Aufenthalt erst wieder richtig zu schätzen weiß.
Um Mitternacht bringt uns eine der Fare Suisse-Mitarbeiterinnen zum Flughafen. Zum Abschied wird dem Mister noch die Sonderbehandlung der vier S zuteil. Während ich die Stichprobenfilzung des Handgepäcks in der Vergangenheit schon durch einen furchteinflößenden Customs-Mitarbeiter in den USA über mich entgehen lassen mußte, ist es hier eine bildschöne Polynesierin mit einem strahlenden Lächeln und ausgesuchter Höflichkeit. Ich glaube, der Mister hätte beim nächsten Polynesienbesuch jetzt immer gern die vier S.
Der Flug verläuft ruhig und unauffällig. Ich mache die Probe aufs Exempel und schaue mir den selben Krimi über den Mord in Teahupo'o wie auf dem Hinflug an. Und siehe da, diesmal verstehe ich fast jedes Wort. Erstaunlich, nachdem ich viele Jahre lang glaubte, im Französischen keine merklichen Fortschritte mehr zu machen, waren die letzten zwei Monate nochmal ein richtiger Booster.
LA International Airport. Wir haben Türkis gegen Smoggrau getauscht.
In Los Angeles haben wir einen ukrainischen Taxifahrer, dem kleine Boxhandschuhe mit Autogrammen von den Klitschkos vom Rückspiegel baumeln. Gemeinsam mit dem Latino vom letzten Mal hat er aber die schlechte Laune, als er unser Zieladresse hört. Als ich ihm bei der Ankunft in der Travelodge 20 Dollar in die Hand drücke, reicht das nicht. Die Minimum Fare ist während der letzten zwei Monate von 18 auf 21 Dollar angehoben worden. Krass.
In der Travelodge fühlen wir uns wohl wie beim ersten Mal. Der Fernseher läuft und wir gehen abwechselnd zur Circle K und zum Chick-fil-A über den Pacific Coast Highway und sammeln Kräfte vor der langen Heimreise. Wir finden es toll hier.
Und die brauchen wir auch, denn morgen ist der 3. Juli und angesichts des bevorstehenden Feiertags ist am Flughafen die Hölle los. Jede Menge US-Amerikaner, die mit uns nach Europa fliegen wollen. Wir stehen eine Ewigkeit lang in der Schlange, es geht nicht voran. Vorbei das Leben in Flipflops, willkommen Maskenpflicht. Es geht zurück nach Deutschland.
Wenn es nach Lufthansa ginge, allerdings erst morgen. Die Maschine ist offenbar derartig überbucht, daß man uns sage und schreibe 800 Dollar pro Person anbietet, wenn wir auf den Folgetag umbuchen. Das Angebot bezieht sich aber lediglich auf den Langstreckenflug, ob wir danach dann Anschlußflüge ab Frankfurt bekommen, kann uns niemand versprechen. Der Mister ist enttäuscht, daß ich da Angebot nicht annehmen will. Das unfaßbare Flugchaos im letzten Sommer, einige der Reiseberichte, die ich während dieser Zeit in Reiseforen von Usern gelesen habe, die mit ihren Nerven am Ende eine mehrtägige Heimreiseodyssee hinter sich haben, läßt mich davor zurückschrecken. Immerhin muß ich in ein paar Tagen wieder arbeiten und kann nicht noch tagelang in überbuchten Zügen durch Deutschland irren und anschließend meine Koffer suchen. Eine Unterkunft in Los Angeles haben wir jetzt, so kurz vor dem Feiertag auch nicht mehr. In die Travelodge können wir nicht zurück, die ist, wie fast alles andere in der Umgebung, ausgebucht.
Trotzdem wird die Rückreise noch zum Nervenkrieg, denn aufgrund hoher Verspätung verpassen wir um Haaresbreite unseren Anschlußflug nach Berlin. Weitere Flüge wären an diesem Tag nicht zu bekommen, daher werden wir am Gate schon von einem Shuttlebus erwartet, der uns in halsbrecherischem Tempo zu einer nur für uns geöffneten Paßkontrollstelle fährt. Das Flugzeug wartet nur auf uns und vier andere aus unserer Maschine, die auch nach Berlin wollen.
Als wir in Berlin landen, der spannende Moment, der im Sommer 2022 jeden Flugreisenden bewegt: Ist mein Koffer in der selben Stadt wie ich?
Wir haben Glück, sie sind da, aber nach drei Monaten und unzähligen Malen des Herumgeworfenwerdens mit einem glatten Achsbruch. Es wird ihre letzte Flugreise gewesen sein.
Unsere ganz sicher nicht, auch wenn wir eine Reise in dieser Form sicher in den nächsten Jahren kein zweites Mal wiederholen werden.
Drei Monate Sabbatical. Eine once in a lifetime-Erfahrung, die besonders zu Pandemiezeiten ihre Tücken hatte. Mein Arbeitgeber, eine Bundesbehörde, bietet diesbezüglich verschiedene Modelle an, die von mir gewählte Variante war eine Ansparphase von 24 Monaten Vollzeittätigkeit bei 89 % Gehalt und im Anschluß drei Monate Freistellung bei Fortzahlung der 89 % Gehalt.
Also keine Notwendigkeit, irgendetwas zu kündigen oder die Wohnung unterzuvermieten, keine Eigenfinanzierung der Krankenversicherung, alles Dinge, die für uns auf keinen Fall in Frage gekommen wären. Trotzdem ist auch der Verzicht auf 11 % Gehalt bei gleichzeitigem Wunsch, so viel wie möglich für die Reise zu sparen, eine Herausforderung.
Trotzdem möchte ich keine Sekunde der Reise missen. Aber bis zur Rente werden wir das nicht wiederholen. Danach vielleicht schon, wer weiß, Reisewünsche, die eine solche Dauer ungefähr abdecken würden, hätte ich durchaus.
Nun fragen sich vielleicht manche, na, wieviel hat es denn nun gekostet und wie habt ihr das organisiert. Uns ist es schwer gefallen, adäquate Informationen zu finden, wenn man einfach als „Normalreisende“ unterwegs sein will.
Erfahrungsberichte von anderen Langzeitreisenden kann man nach meinem Eindruck in zwei Kategorien unterteilen: Die Luxusreisenden, die, vielleicht gerade frisch in die Rente eingetreten, sich jetzt richtig was gönnen und monatelang mit dem eigenen Segelboot herumziehen oder von einem Stelzenbungalow auf Bora Bora in den Strandbungalow mit eigenem Butler auf Tetiaroa umziehen. War für uns überhaupt nicht hilfreich, die Reisekosten einzuschätzen.
Oder zum anderen die Backpacker, die – bevorzugt in Asien – zum günstigstmöglichen Budget unterwegs sind und sich darin gefallen, sich gegenseitig zu unterbieten, wer denn nun wo am billigsten untergekommen ist. War für uns genausowenig hilfreich.
Wir hatten eine Mischung aus einfacheren Unterkünften und einigen hochpreisigeren, wobei die teureren die 300 Euro pro Nacht nicht überschritten haben. Ich glaube, die teuerste Unterkunft war die Vanira Lodge mit knapp 280 Euro für den Haari inklusive Frühstück.
Einige Unterkünfte haben unter 100 Euro pro Nacht gekostet, wie das Motu Iti zum Beispiel. Da Französisch Polynesien während der Pandemie zeitweise das einzige Land war, das seine Grenzen für Touristen geöffnet hatte, hat es hier einen Tourismusboom gegeben und die Preise haben seit 2021, dem Jahr, in dem wir gebucht haben, erheblich angezogen. Von daher sind unsere Preisangaben nicht mehr ganz repräsentativ, aber helfen vielleicht einzuschätzen, daß Französisch Polynesien nicht ausschließlich für die ganz Gutbetuchten ist.
Mir persönlich haben einige der günstigeren Unterkünfte sogar am besten gefallen. Das Motu Iti fand ich persönlich als Gesamtpaket unschlagbar.
Auch der Französischen Sprache muß man nicht zwingend mächtig sein. Auf Tahiti und den Tuamotus sprechen die Menschen, die im Tourismus arbeiten, nach unserem Eindruck inzwischen alle Englisch. Wie bei vielen französischen Muttersprachlern, wozu man die Polynesier hier ja zählen muß, ist es manchmal besser, manchmal schlechter verständlich.
Je weiter man sich von Tahiti selbst entfernt, desto schwieriger wird es allerdings. Ich glaube, auf den Marquesas und Raivavae sprachen deutlich weniger Menschen Englisch, aber da muß man ja nicht zwingend hin, es gibt auch auf den Gesellschaftsinseln genug zu sehen. Also los, traut Euch, es ist ein ganz wunderbares Land, das sich kennenzulernen lohnt.
Insgesamt waren wir drei Monate unterwegs, ein Monat Florida und zwei Monate Französisch Polynesien. Die Reise haben wir von Anfang an selbst organisiert, d.h. alle Unterkünfte selbst recherchiert und zum Teil auch vorab selbst angefragt. Gebucht haben wir den von uns zusammengestellten Reiseverlauf dann aber über einen Veranstalter, Pacific Travel House, bei denen wir auch schon in der Vergangenheit immer phantastisch betreut wurden.
Wir hatten für die Reise inklusive Isolationszeit vorher und Jet-Lag-Ausschlafzeit danach knapp vier Monate Zeit und ein Budget von 30.000 Euro. Wir sind mit beidem gut ausgekommen.
Im Hier und Jetzt sind wir immer noch nicht ganz angekommen, was auch damit zu tun hat, daß wir im September letzten Jahres dann gleich wieder nach New York gereist sind.
Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, mich für den Moment „sattgereist“ zu haben. Wir beide merken, daß wir die Reise immer noch verarbeiten. Manche Eindrücke kommen in Flashbacks zurück, besonders die Zeit auf Motu Rani. Manche Orte, an denen wir waren, erscheinen während eines tristen Berliner Winters geradezu unwirklich. Auch während des Schreibens des Reiseberichtes kamen mir manche Erlebnisse geradezu unglaublich vor.
Wir hoffen, Ihr hattet Spaß beim Lesen und freuen uns über die zahlreichen netten Kommentare und die Anteilnahme.
Für uns ist ganz sicher, daß wir, wenn die Reisegötter uns lassen, wieder nach Französisch Polynesien reisen wollen.
Wenn alles läuft wie geplant und keine Streiks oder anderen unvorhergesehenen Dinge eintreten, sitzen wir heute in einer Woche schon im Gatorland in Orlando. Wenn es nicht langweilt, werden wir wieder berichten.